AS2

Es ist Montag. Montagmorgen 8:00 Uhr und ich sitze vor meinem PC. Heute bin ich allein hier,  ohne die anderen Teilnehmer*innen der Schatzkiste. Es ist still um mich herum. Mein Leben ist etwas entschleunigt und nicht mehr bis zur letzten Minute durchgetacktet. Es fällt mir jetzt leichter, mich einzulassen auf die Metaebene, denn ich habe ein wenig Abstand gewonnen zu dem vergangen Semester. Ein Semester, welches ich wohl nie vergessen werde. Ein Semester auf Abstand. Ein Semster, welches ich ohne jegliche Erwartungen begann und gefüllt mit Überraschungen und neuen Erkenntnissen abschloss. Ich habe viel gelernt. Am meisten gelernt habe ich über mich selbst und wie ich gern sein möchte als zukünftige Lehrerin. Das finde ich interessant, denn damit hatte ich wohl am wenigsten gerechnet.

Anfang Mai war das System, in dem wir uns befinden, durch den Lockdown nahezu vollständig zum erliegen gekommen und social distancing erschwerte unsere Zusammenarbeit. Wie sollten wir performativ arbeiten können, fragte ich mich. Wie sollten wir aufeinander eingehen, ohne dass wir uns jemals analog und wahrhaft gegenüber säßen. Wir mussten uns neu orientieren, denn im „System gelten gewisse, in der Tiefe wirksame Grundordnungen. Eine davon ist das Recht auf Zugehörigkeit“ (Gollor, 2015, S.16). Dieses Gefühl der Zugehörigkeit stellte sich bei mir schneller ein als gedacht. Das Seminar  der Schatzkiste war neben einer weitern, die einzige digitale Veranstaltung, bei der alle Teilnehmer*innen die Kamera anschalteten und ein echter Austausch unter- und miteinander stattfand. Das tat gut, während einer Zeit der Abschottung und half dabei ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu entwickeln. Heute kann ich sagen, dass ich ein Teil der Schatzkiste geworden bin. Ich gehöre dazu und „hier fühle ich mich wohl“ (Gollor, 2015). 

Mit unseren Ideen, Spielen und Aufgaben haben wir versucht diese Verbundenheit, die wir aufgebaut hatten, bis zu den Kindern nach Hause transportieren. Dabei hat sich jeder auf seine ganz eigene Weise eingebracht. Daraus entstanden ist eine Art Kreislauf von Input und Output. Die Kinder haben die Aufgaben, die wir ihnen stellten, auf ihre ganz eigene Weise interpretiert und gelöst. Diese Lösungen nahmen wir wiederum zum Anlass einer neuen Aufgabe oder eines neuen Spiels. Es war spannend zu sehen, wie das eine das andere bedingt und bereichert hat. 

Jedes der Kinder ist einzigartig und hatte, besonders in dieser herausfordernden Zeit, die unterschiedlichsten Hürden zu überwinden. Die Steckbriefe der Superhelden haben „unseren Blick hingegen auf die Ressourcen und Fähigkeiten [gelengt], die jeder in sich trägt“ (Gollor, 2015, S.17). Manchmal musste zwischen den Zeilen gelesen werden oder die Zeichnung der Kinder ein zweites oder gar drittes mal studiert werden. Doch in jedem dieser Superhelden stecken so viele wunderbare Talente. Es sind Talente, die es gilt wahrzunehmen, denn die „Wahrnehmung der Welt verlangt nach einem Menschen, der diese wahrnimmt“ (Foerster und Pörksen, 2019, S.116). Wir, das Team der diesjährigen Schatzkiste, wollen diese Talente wahrnehmen. Wir haben uns deshalb ein Spiel ausgedacht, bei dem genau diese Talente die Hauptrolle spielen. Ich bin gespannt, wie das Spiel nach den Sommerferien bei den Kindern ankommen wird. Aber schon jetzt bin ich beeindruckt, denn ohne auch nur eines der Kinder jemals gesehen zu haben, habe ich das Gefühl jedes von ihnen ein klein wenig zu kennen. Eine bunte Mischung aus Superhelden. Ist das nicht wunervoll? Ja ich finde das ist es, denn „Alles ist ein Wunder.“ (Foerster und Pörksen, 2019, S.63)

Als zukünftige Lehrerin möchte ich mit offenen Augen und offenem Herzen vor meine Klasse treten. Meine Stärken und meine Schwächen zeigen, authentisch sein und eine Verbindung schaffen, denn „die systematische Pädagogik ist mehr eine Summe von Haltungen als eine konkrete Methode“ (Renolder, 2014, S.12). 

TD

Stell dir vor, über Nacht ist ein Superheld/ eine Superheldin gekommen und hat all deine Probleme gelöst. Du wachst morgens auf und diese ganze Corona-Hypnose ist endlich vorbei. Was würdest du zuerst machen? Was würde sich ändern? Oder war alles nur ein Traum.

TD

Abschluss „Schatzkiste 2020“ 

Einen Monat später als sonst hat sich die Schatzkiste in diesem Semester für mich geöffnet. Am Montag, 04.05 um 8:00 Uhr war unser erstes gemeinsames virtuelles Treffen. Dieses Seminar hat für mich den Anfang gemacht in diesem außergewöhnlichen Semester. Es war über 11 Wochen mein Start in die Woche, und jeden Montag auch mein Start in den Tag. Ich glaube ohne die Schatzkiste zum Start des Semesters und der Woche wäre mein Semester weniger positiv gewesen. Im Seminar habe ich gelernt, die aktuellen Einschränkungen wertzuschätzen und das Beste daraus zu machen. Ich habe gemerkt, dass es gut ist so wie es momentan ist. Auch wenn ich wirklich gerne nochmal zu Gast in der Wiedheckschule gewesen wäre, glaube ich, dass wir als Team das Beste daraus gemacht haben.

Im systemischen Denken ist das gemeinsame Erleben zentral. Doch genau dies ist im Moment nicht möglich. Auch wenn es schwierig war, sich über dieses Format auf die Metaebene einzulassen, habe ich gemerkt, dass ich wirklich jede Woche etwas gelernt habe. Denn im Moment lernen wir alle. Sei es die Zeit, die wir in das Verstehen der technischen Möglichkeiten investiertenoder in der wir am gemeinsamen Projekt arbeiteten. Wirhaben miteinander gelernt, aber auch voneinander. „Der Einzelne beeinflusst das System und umgekehrt. Das bedeutet, dass nichts bleibt, wie es ist. Sowohl der Einzelne als auch das System verändern sich ständig, in gegenseitiger Abhängigkeit“ (Gollor, 2015, S. 14). Ich bin mir sicher, dass wir in unseren Aufträgen an die Kinder einiges dazu gelernt haben, was wir ohne sie vermutlich nie entdeckt hätten.

Dieses Mal war es irgendwie auch ein Schatz für mich selber und ab der ersten Sitzung war ich mir sicher: „Hier fühle ich mich wohl“ (in Anlehnung an das Buch von Erika Gollor).

Dieses Seminar war anders als alle anderen. Hier habe ich mich wohl und ernstgenommen gefühlt. Hier habe ich mich getraut, etwas zu sagen. Hier wurde ich gesehen. Von anderen Seminaren kann ich das nicht sagen – stummgeschaltet und ohne Kamera. Hier habe ich verstanden: Unterschiede sind kostbar. Unterschiede machen den Unterschied. Die Schatzkiste hat ganz sicher einen Unterschied gemacht, denn es gab kein richtig oder falsch, kein gut oder schlecht. Es war für uns alle etwas Neues und Wahrheit entstand durch das Vertrauen von Mensch zu Mensch (vgl. Foerster & Pörksen, 2016, S.34).

Ähnlich wie die Bänder und Knoten in den Freundschaftsarmbändern, die wir zusammen geknüpft haben, zusammenhalten, halten auch wir Menschen in dieser schwierigen Zeit zusammen. Manche Seile sind näher, manche sind weiter entfernt, aber sie gehören alle zusammen und sobald ein Seil fehlt oder ausgeschlossen wird, dann zerfällt auch das Armband (die Gemeinschaft). „Das gemeinsame Am-Seil-Gehen erscheint mir als eine Konkretion der Idee von Verbundenheit“ (Foerster & Pörksen, 2016, S.165).

Laura hat einmal gesagt: „Wenn man anfängt, systemisch zu denken, hat man viel Spaß.“ Diesen Satz kann ich jetzt bestätigen. Jede Woche gab es neue Aufgaben. Es waren schöne, abwechslungsreiche Aufgaben, die mir Spaß gemacht haben. Auch die Blogbeiträge jede Woche waren für mich keine lästige Aufgabe. Sie haben mir selbst geholfen, das Gesagte zu verarbeiten und das Leben so zu lieben, wie es ist. 

Das Leben beschert uns so viele Überraschungen! Es ist wie eine große Schatzkiste, die uns zum Staunen, aber auch zum Verzweifeln bringen kann – das haben wir jetzt gemerkt. Aber das ist nicht schlimm, denn im Grunde genommen ist jeder von uns ein Superheld. Wer weiß das schon. Wichtig ist einfach, jetzt aber auch später als Lehrerin immer man selbst zu sein und die Kinder an seinen Talenten, Leidenschaften und Fragen teilhaben zu lassen. Sozusagen als wöchentliche Einladung in eine ganz persönliche Schatzkiste, in der jeder das denken, sagen, tun und einbringen darf, was er möchte. Jeder von uns ist wie eine individuelle Schatzkiste mit verschiedenen Inhalten, Talenten, Wünschen, Leidenschaften, Gefühlen und Ängsten.Warum wollen wir dann immer noch, dass jedes Kind gleich ist? Lasst uns einen Unterschied machen! Denn wer will schon perfekte, vorhersehbare Maschinen, wenn wir eine Welt voller Superheldinnen und Superhelden haben können?

Auch wenn ich mich wirklich auf die vorlesungsfreie Zeitfreue, fehlt mir der Start in die Woche irgendwie. Umso mehr schätze ich es, dass wir einen Blog haben, der immer offen und zugänglich ist und nicht zu vergessen ein wunderbares Superhelden- und Freundebuch, das uns auch später noch an diese spannende Zeit erinnern wird.

Mein erster Blogbeitrag schloss mit folgendem Satz ab: „Ich freue mich auf diese Reise in das Unvorhersehbare und bin gespannt was die nächsten Wochen bringen werden.“ Nun kann ich sagen: diese Reise hat sich definitiv gelohnt. Sie war wie ein elfwöchiges Abenteuer in ein Land voller Superhelden und sie ist noch lange nicht vorbei, denn das eigentliche Highlight kommt ja noch.

Wenn ich dieses Seminar in drei (Würfel-)Ebenen beschreiben müsste, dann wäre es: Adjektiv: anders     Nomen:  Superkraft    Verb: wertschätzen

Dementsprechend lautet mein Motto: Jeder Mensch ist anders, jedes Seminar ist anders. Jeder hat seine eigene persönliche Superkraft und genau das sollten wir wertschätzen.

LP

Wir glauben oft, dass nur viel passieren kann, wenn wir auch viel Materielles mitbringen. Dabei lenken wir unsere Aufmerksamkeit davon weg, zu erkennen, ob gerade das ist, was sein soll. Und wir vergessen, dass wir stets einen Sack voll guter und schlechter Erfahrungen bei uns tragen, aus welchem wir jederzeit schöpfen können.

Durch diese spezielle Zeit haben wir alle, das Schatzkisten-Team und die Kinder, gezeigt, was es für eine Performance braucht. Wir haben Selbstvertrauen in unsere Superkräfte gesetzt. Wir hatten ein offenes Ohr für gegenseitige Fragen, Antworten und Ungewissheiten auf dem Weg unseres Kennenlernen und gemeinsamen Freundschaft. Wir investierten in unsere Beziehung durch virtuelle Kommunikation und durch den Berührungspunkt der Kunst. Wir wollten mit unsere Freude am gemeinsamen Arbeiten mit den Kindern anstecken und ein sehr wichtiges Ziel dabei war Spaß am Entdecken und Kennenlernen. Wir bemühten uns trotz Onlinesituation aufeinander zu achten. Wir erlaubten uns also die Freiheit, Neues auszuprobieren und Grenzen zu brechen, damit Beziehung trotz dieser Zeit sein kann.

TD

Das Leben beschert uns so viele Überraschungen!

Wir wollen immer alles kontrollieren und planen alles bis aufs letzte Detail. Wir haben vermutlich schon vieles für die Sommer- bzw. Semesterferien geplant. Doch dann kam Corona und unser Traum von einer berechenbaren, zuverlässigen und voraussagbaren Welt ist geplatzt. Aber genau dies hat uns vielleicht mal gezeigt: Die Welt ist voller Wunder und unberechenbar. Ähnlich ist es auch mit Kindern. Wir wissen nie was an einem Schultag alles passieren kann und genau das macht die Arbeit mit Kindern so besonders, abwechslungsreich und wertvoll. Die Kinder denken nicht über alles nach, zweifeln nicht ständig, sondern tun einfach. Wichtig ist, dass wir dieses Handeln nicht bestrafen, sondern wertschätzen. Wir müssen die Kontrolle auch mal abgeben und uns auf die Kinder einlassen, denn von Kindern können wir noch einiges lernen. Einfach mal ausprobieren, überraschen lassen und auch mal Fehler machen. Einfach mal mit dem zufrieden sein, wie es gerade ist. Einfach mal Vertrauen haben in die Kinder, aber auch in uns selbst. Einfach mal machen und an sich selbst und die Superkraft, die in jedem von uns schlummert, glauben. Einfach mal Mensch sein. Denn wer will schon perfekte, vorhersehbare Maschinen, wenn wir eine Welt voller Superheldinnen und Superhelden haben können? 🙂

AS2

In der systemischen Pädagogik gibt kein Rezept, es gibt Zutaten und davon sehr viele. Es gibt kein starres Gerüst. Es ist mehr ein riesiges Trampolin und jeder Sprung eines Springers wirkt sich auf den anderen Springer aus. Es gibt keinen gepflasterten Weg mit Geländer, wir hängen alle gemeinsam in der Felswand und sind verbunden durch das Seil. Manchmal müssen wir uns frei machen von Artikulationsschemata und zu engen Vorgaben. Manchmal braucht es Mut, ein wenig Erfahrung und Herz. Was brauche ich jetzt? Was brauchen die Kinder? Wie sind die Bedürfnisse? Es braucht Vertrauen. Vertrauen in sich selbst und in die Kinder. Und dann einfach mal fallen lassen, auch ohne doppelten Boden und zusätzliches Sicherungsseil.

LH

So langsam aber sicher geht die Zeit dieses Projekts auch wieder vorbei…und dabei hat es doch eigentlich gerade erst angefangen! Ich bedauere es immer noch sehr, dass wir die Kinder so selten sehen durften. Ich denke aber, wir sollten in solchen Situationen mehr denken wie die Kinder: in den Videos und dem einen Treffen, zu dem ich Glückspilz mitkommen durfte, habe ich gemerkt, dass sich die Kinder über das freuen, was sie von uns bekommen haben. Sie sind nicht traurig darüber, dass wir nicht da sind, zumindest nicht vordergründig, sondern hatten ein Strahlen im Gesicht bei jeder Botschaft, die die Schatzkiste ihnen digital zugesendet hat. Ich habe lange Zeit gebraucht, die Enttäuschung zu verdrängen, dass ich dieses tolle Seminar dieses Semester auf ganz andere und distanziertere Weise erleben werde. Jetzt möchte ich aber mehr denken wie die Kinder: ich bin dankbar für die Zeit die wir hatten und die Ergebnisse und Antworten, die wir bekommen haben, und nicht traurig wegen der Dinge, die passiert WÄREN wenn es anders abgelaufen WÄRE. Und wenn ich ehrlich bin und auf unsere Zeit zurückblicke, war es vielleicht auch genau diese große Herausforderung, die die Schatzkiste zu etwas Besonderem gemacht hat und den Kindern in dieser ungewissen, schwierigen Zeit einen kleinen Anker gegeben hat.

LP

Das Leben ist für uns einfacher, wenn wir kategorisieren, sortieren und einordnen können. Doch unsere Denkschubladen sind oft aus einfachem Holz geschnitzt und können nicht die ganze Individuation erfassen. Eine Hierarchie oder Auswahl hilft uns vielleicht leichter zu denken und entlastet, aber wir werden nicht das Wesen und die Lebenskraft der Kinder dadurch entdecken können. Es bleibt unsere alleinige Wahrheit als Betrachter. Und davon kann jeder seine eigene kundtun.

Gleichwohl verhält es sich mit der Ästhetik. Wer kann schon feste Kriterien für die Schönheit entscheiden? Ist unsere Vielfalt denn nicht ästhetisch genug? Warum passen wir nicht auf sie auf?